- Polnisch-Sowjetischer Krieg: Curzon-Linie
- Polnisch-Sowjetischer Krieg: Curzon-LinieDer von den Linksparteien unterstützte »Vorläufige Staatschef« Józef Klemens Piłsudski (1867-1935) verfolgte nach Beendigung des Ersten Weltkriegs unter Berufung auf historisches Staatsrecht das Ziel, für Polen die vor der Ersten Teilung von 1772 bestehende Ostgrenze wiederzugewinnen. Dieser Konzeption einer »jagellonischen Föderation«, die Millionen von Litauern, Weißrussen und Ukrainern in den polnischen Staat eingegliedert hätte, stand die von Roman Dmowski geführte Nationaldemokratie mit Vorbehalten gegenüber. Der Oberste Alliierte Rat der Siegermächte schlug seinerseits am 8. Dezember 1919 den Verlauf der Ostgrenze entlang der Flüsse Bug und San (die erst später nach dem britischen Außenminister Lord George Curzon so benannte Curzon-Linie) vor, wodurch die wiedererstandene Republik nur die mehrheitlich von Polen besiedelten Gebiete erhalten hätte.In der Erwartung, das revolutionäre Russland werde langfristig als Hegemonialmacht in Osteuropa ausfallen, verwarf Piłsudski diese Grenzziehung, verbündete sich mit der antikommunistischen Ukrainischen Volksrepublik und löste am 26. April 1920 eine Offensive aus, die am 7. Mai in der Einnahme Kiews gipfelte. Der im Juni begonnenen sowjetischen Gegenoffensive, die zugleich der Entfesselung der kommunistischen Revolution und der Errichtung eines »Sowjet-Polen« dienen sollte, konnte Polen anfangs wenig militärischen Widerstand entgegensetzen. Der am 16. August 1920 mit dem »Wunder an der Weichsel« von Piłsudski eingeleitete Gegenschlag führte dann aber eine rasche Entscheidung im Polnisch-Sowjetischen Krieg herbei, weil die Rote Armee nach Durchbrechung ihrer Nachschublinien in wilder Flucht zurückweichen und teilweise sogar auf deutsches Reichsgebiet übertreten musste.Bei den Friedensverhandlungen in Riga ab Oktober 1920 kam es zwischen den expansionsorientierten »Föderalisten« und den einen starken Nationalstaat fordernden nationaldemokratischen »Unitaristen« innerhalb der polnischen Delegation zu heftigen Auseinandersetzungen. Mit der Unterzeichnung des Friedens von Riga am 18. März 1921 konnte eine die polnischen Forderungen berücksichtigende Festlegung der polnisch-sowjetrussischen und der polnisch-sowjetukrainischen Grenze mehr als 150 km östlich der Curzon-Linie erzielt werden, der die Alliierte Botschafterkonferenz zustimmte.Unter Aufgabe eines wirklich föderalistischen Programms und nach dem Sieg des Nationalstaatsgedankens wurde das neue Polen als nationalpolnischer Einheitsstaat konzipiert. Durch zunehmenden Polonisierungsdruck wurde damit begonnen, die Rechte der nationalen Minderheiten, die rund ein Drittel der Bevölkerung stellten, zu beeinträchtigen. Dieses Konfliktpotenzial und die spannungsreiche Nachbarschaft, die zum Deutschen Reich und nun auch zur jungen Sowjetmacht be stand, haben die Konsolidierung der innen- und außenpolitischen Lage Polens nachteilig erschwert.
Universal-Lexikon. 2012.